Den Zeichen folgen und vertrauen

Ich packe mein Zelt zusammen und verstaue alles in den Packtaschen. Don Socke und Canela dösen in der Morgensonne und ich genieße meinen Morgenkaffee mit Milchpulver.

Ich bin entschlossen den steilen Aufstieg gleich neben unserem Nachlager aufzusteigen. Dort oben war ich noch nie. Es soll eine Lagune geben.

Dieses intuitive Unterwegssein, ohne geplante Strecke mit Wegpunkten im GPS, ist eine neue Herausforderung. Nichts ist klar. Geht der Pfad weiter oder hört er auf? Ist er für uns passierbar? Wohin führt er mich und was begegnet mir unterwegs?

Schon mehrfach hat mich diese Strategie umkehren lassen. Doch immer habe ich etwas mitgenommen: eine Erfahrung, eine Lehre, ein Geschenk des Lebens.

Der Aufstieg ist steil und Don Socke mach immer wieder Pausen. Ich lasse ihn. Wir sind in unserem Tempo unterwegs – nichts und niemand treibt uns an. Auf der Hochebene verliert sich der Weg. Ich suche Spuren und entdecke auf einem Felsen einen Stein, der wie ein Vogel aussieht. Der „Schnabel“ zeigt eindeutig nach Westen. Gut, dann reiten wir nach Westen.

Und tatsächlich treffe ich nach einigen 100 Metern auf einen gut ausgetretenen Pfad. Hier sind Gauchos unterwegs. Eine Lagune sehe nicht in der sehr kargen Landschaft, einige Felsbrocken, vereinzelte Grasbüschel, feine, staubige Erde, die von jedem Windstoß fortgeweht und von jedem unserer Schritte aufgewühlt wird. Es ist schon etwas trostlos.

Ich bin froh, als ich nach der Querung im nächsten Tal wieder grüne Mallines, die fruchtbaren Flecken, sehe. Wir steigen ab und kommen an einem verlassenen Puesto vorbei. Schade, es ist kein Gaucho da, den ich nach dem Weg fragen kann.

Don Socke und Canela ist das egal. Sie stürzen sich auf das frische Grün. Ich schnalle die Bauchgurte einige Löcher weiter, löse das Vorderzeug und lade etwas Gewicht von Canela ab. Ich selbst schnappe meine Wasserflasche und etwas hartes Weißbrot für meine Pause. So richtig komme ich nicht zum Essen, denn ich bin so überwältigt von der Landschaft. Statt dem Brot schnappe ich meine Kamera und drücke den Auslöser mehrfach, als wollte ich mir selbst festhalten, was ich da sehe.

Bin ich wirklich hier mir meinen Pferden? Ist das wahr? Manchmal staune ich über mich: allein mit meinen beiden Compañeros an so wundervollen Orten zu sein. Was für ein Geschenk! Dankbarkeit breitet sich in all meinen Zellen aus.

Ich entschließe mich, talabwärts einen Pfad zu suchen, als es hinter mir pfeift. Ein Gaucho. Der Weg, den ich einschlagen wollte, sei sehr „feo“, weil dort viele Felsen zu überwinden seinen.

„Komm, ich zeige dir einen besseren Weg,“ grinst Miguel mich an, deutet mit dem Kopf in einen andere Richtung und steckt sich eine gerollte Zigarette in den zahnlosen Mund. Ich genoss es wirklich, nicht suchend auf den Weg schauen zu müssen. Genießend gucke ich einfach in die grandiose Landschaft, denn Don Socke folgt dem Gaucho.

Wir kommen an einem Puesto an und werden mit Tortas, in heißem Ziegenfett gebackene Hefeteigstücke, Ziegenfleisch und Mate bewirtet. Köstlich. Mein Magen knurrt nun wirklich, da ich meine Pause ja zum Fotofrafieren genutzt hatte. Es ist für mich selbstverständlich geworden, dieselben Nahrungsmittel zu essen, wie die Gauchos. Tortas, Fleisch und Mate. Viel mehr gibt es selten. Obst? Nunca. Nie. Gemüse? Zwiebeln, Kürbis, Kartoffeln. Das, was sich über Wochen hält. Es ist nicht besonders gesund. Den meisten Gauchos fehlen einige Zähne, der Vitaminmangel hinterlässt Spuren. Jahrzentelang war ich Vegetarierin. Hier würde ich verhungern.

„Wir steigen heute ins Tal ab, du kannst mit uns mitkommen,“ bietet Jose, der Sohn des Puestobesitzers an. Perfekt, denke ich zufrieden und bin froh, dass sich wieder alles fügt. Im Tal wartet saftiges Gras für meine Pferde. Ich finde einen guten Platz für unser Nachtlager, baue Koppel und Zelt auf und koche meine Standardgericht: Nudeln mit dreifach konzentrierter Tomatensoße aus der Minidose.

Don Socke muss neu beschlagen werden. Eisen und Nägel habe ich dabei, beschlagen kann ich nicht. Am kommenden Tag brauche ich einen Gaucho. Alle Gauchos beschlagen ihre Pferde, mal besser, mal schlechter. Talaufwärts liegt eine Estancia, das ist mein Ziel. Unterwegs kommt mir ein Gauch entgegen geritten. „Wie geht´s?“ ist die Standardfrage bei jeder Begegnung. Ich berichte meine Woher und Wohin und frage nach der Möglichkeit des Beschlags.

„Kein Problem, ich beschlage dein Pferd. Reite zum Haus und warte. Ich muss nach den Rindern sehen und das Wasser regulieren, dann komme ich, “ irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich Omar wirklich freut, mir zu helfen

Vier Stunden warte ich, repariere in der Zeit den Verschluss meiner Packtasche und erkunde die Gegend zu Fuß. Am Nachmittag kommt der Gaucho und beschlägt Don Sockes „Hände“, wie hier die Vorderhufe genannt werden.

Am späten Nachmittag verlasse ich die Estancia, um einen Platz für die Nacht im Tal zu suchen. Weil ich weiß, dass ich in einem fruchtbaren Tal mit ausreichend gutem Futter unterwegs bin, lasse ich mir Zeit. Je weiter ich reite, desto bewusster wird mir allerdings, was Omar meinte, als er vom Wasser regulieren sprach: Das ganze Tal ist mit Wasser überflutet.

Wasser ist hier limitierender Faktor für das Wachtum. Kein Wasser, kein Gras. Überall gibt es ausgeklügerlte Kanalsysteme, mit denen das Land systematisch bewässert wird. Wo ich auch suchte, ich finde kein trockenes Plätzchen für mein Zelt. Da die Dämmerung schon naht, schalte ich einen Gang höher, was Don Socke gar nicht verstehen will. Auf einer kleinen Anhöhe finde ich die perfekte Fläche mit fettem Löwenzahn und gutem Gras. Doch aus dem Gebüsch machte sich laut ein Stier bemerkbar und fixiert uns ununterbrochen. Mist. Damit habe ich nicht gerechnet. Mit dem imposanten Gehörnten will ich mich nicht anlegen. Tage zuvor war ich zwei miteinander kämpfenden männlichen Rindern begegent. Es ist besser auszuweichen, hatte ich von den Gauchos gelernt. Und einer? Kann er gefährlich werden? Er war wirklich richtig groß und mit seinem Gebrüll verschaffte er sich noch mehr Präsenz.

„Gut,“ willigte ich innerlich ein, „es ist sein Platz. Wir ziehen weiter.“

Schließlich finde ich noch einen Nachtplatz, der alles bietet: Futter, Wasser, dort wo es sein soll und einen tockenen Platz für mein Zelt. Als ich am Ende des Tages in meinem Zelt liege und den Tag reflektierte, bin ich wieder einmal überzeigt davon:

Das Leben ist viel entspannter, seit ich Sicherheit gegen Vertrauen getauscht hatte.

In der nächsten Geschichte erzähle ich mehr über Vertrauen und wie ich Don Socke im Sumpf versenkte.

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