Aufbruchsstimmung und Magengrummeln

Oder wie viel Ungewissheit verträgt ein Verstand?

Am 31. Dezember, eine Stunde vor Mitternacht werde ich abheben in Frankfurt. Die Vorstellung, zwischen den Jahren zwischen den Welten in der Luft zu verbringen, gefällt mir. Das habe ich noch nie gemacht! Frei nach Astrid Lindgren kann es also nur gut werden. Auf ins Ungewisse, ins neue Abenteuer.

Ich freue mich so sehr, meine beiden Pferde Don Socke und Canela wiederzusehen und mit ihnen ein neues Abenteuer zu erleben. Und ich freue mich auf meine argentinischen Freunde. Freundschaft lässt Entfernungen schrumpfen und macht die Welt kleiner.

Ein wenig grummelt mein Magen dennoch. Bis Anfang Dezember habe ich nicht geschafft, eine Reitstrecke zu planen. Und dann war es dann einfach zu spät, noch ernsthaft anfangen zu wollen. In den Anden gibt es keine Wanderkarten und keine Wege. Es gibt nur Pfade, alte Säumerpfade der Gauchos, die mit ihren Pferden die hochgelegenen fruchtbaren Flecken und Täler erschlossen haben.

Ich erinnere mich an das letzte Jahr. Das erste Mal bin ich allein in den Bergen unterwegs. Nach der Hälfte meiner vorgeplanten Strecke beschloss ich, meinen Plan zu verlassen. Ich spürte einen tiefen inneren Ruf, eine Hochebene aufzusuchen. Damals konnte ich mit der Bedeutung des Namens Inti noch nicht viel anfangen. Als ich dort oben ankam, lag eine riesige Kondorfeder direkt vor meinen Füßen. Etwas später besuchten mich drei Kondore und hatten eine Botschaft für mich:

LEBEN IST MAGIE.

Ich war tief berührt. In der Nacht waren außer einer halbwilden Pferdeherde, einigen Rindern nur Don Socke, Canela und ich unter dem sternefunkelnden Himmel zu Gast. Selten habe ich so viel Frieden gespürt. Das hat mich damals zu Tränen gerührt.

INTI begegnete mir dann im Laufe diesen Jahres immer wieder, bis sich mir Bedeutung erschloss. Bis sich mir erschloss, warum ich ausgerechnet in Argentinien reite, was das mit mit meinem Namen Solveig zu tun hat und warum das alles zusammenhängt. Diese Geschichte erzähle ich später.

Jetzt, drei Tage vor dem Abflug frage ich mich, wie viel Ungewissheit ein Verstand aushalten kann. Sicher, ich bin geübt darin, mich der Unvorhersehbarkeit des Lebens auszusetzen. In gewisser Weise liebe ich diesen Prickel, nicht zu wissen, was kommt.

Ich habe Hingabe geübt – ein ganzes Jahr lang. Hingabe an das, was gerade ist.

Dadurch ist meine Intuition stärker geworden. Ich nehme feiner wahr und höre meine innere Stimme deutlicher. Ich spüre, wie mein innerer Kompass mein Tun bestimmt. Das Außen wird leiser. Ich werde freier und unabhängiger.

Hin und wieder wehrt sich mein Verstand. Ziemlich hilflos und verzweifelt versucht er zu tun, was er immer getan hat: zu regeln und zu planen. Neulich meinte er doch:

„Du bist schlecht vorbereitet, du hast keine Reitstrecke geplant. Du wirst scheitern.“
Die Intuition: „Ach was, ich bin bei dir. Ich finde Wege, ganz neue, ungeplante. Ich bringe dich dort hin, wo etwas wartet, dass deinem Seelenweg entspricht.“

Ich höre eine Weile den beiden zu und entschließe mich, still zu werden und der Stimme mit der größten Energie zu folgen. Das ist die Intuition, mein Herz, meine innere Stimme. Mich ganz, also so absolut darauf einzulassen ist neu für mich und ich spüre eine Unsicherheit in mir grummeln. Ich spüre sie, nehme sie wahr und nehme sie mit. Ich werde mit dieser Unsicherheit aufbrechen.

Und doch beunruhigt mich etwas. Ich habe genauer hingespürt und muss nun grinsen: die größte Sorge bereitet mir im Moment die Bahn. So viele Zugverspätungen und ausfälle – werde ich rechtzeitig zum Flughafen kommen? Meine Anreise in 2018 hat mich doch irgendwie traumatisiert: Gesperrte Bahnhöfe, Zugverkehr ausgefallen, verspätete Inlandflüge wegen vereister Tragflächen, Sprint zum Gate um die Maschine zu erreichen, Gepäckverlust, ungeplante Zwischenlandung in Paraguay und … am Ende war alles wieder gut.

So ist eben Heldenreise. Am Ende geht sie gut aus. Also wird es auch diesmal so sein. Es fahren 5 ICE von Dresden nach Frankfurt – ich werde wohl ankommen ;-). Jetzt muss ich lachen.

Lachend werde ich morgen meine Lufthansa-Aufgabegepäck-Kiste mit den zugelassenen Maßen L+B+H = 158 cm und 23 Kilogramm optimieren. Irgendetwas muss hier bleiben…

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