Was bleibt, wenn wir gehen?

Buenos Aires – Ein Besuch auf dem Friedhof Recoleto

Ich habe Tränen in den Augen, als ich vor der Gruft der Familie Duarte stehe. Die alte Frau, die draußen an der Friedhofsmauer Tempotschentücher verkaufte, kennt offenbar ihre Kunden.

Frau Duate hingegen kennen die wenigsten. Eva Peron, EVIATA kennt jeder. Im kunstvoll gestalteten Gitter des eisernen Tores der Gruft stecken zahllose Rosen und vertrocknete Blumensträute am Familengrab auf dem Friedhof Recoleto im gleichnamigen Stadtteil von Buenos Aires. In Glitzerfolie eingeschlagene Stäuße stapeln sich vor der Gruft.

Eine Menschentraube steht davor, als ich die schmale Gasse aus übermannshofen Gräbern einbiege. Es werden Fotos gemacht und das nächte Grab bekannter Argentinier besucht. Friedhofstourismus.


Ein junger Mann bleibt. Wie ich auch setzt er sich an die Stufe des gegenüberliegenden Grabes und ist ganz still. Die schnatternde Menschentraube ist in die nächste Grabgasse gebogen. Wir genießen gemeinsam einen Moment lang die stille Verbundenheit mit Eva Peron, Evita, die durch ihr Wirken in vielen Herzen weiter lebt. Dann biegt auch schon die nächste Menschenmenge einer geführten Gruppe um die Ecke.


Ich weiche der turbulenten Energie der Gruppe und ziehe weiter. Mein ursprüngliches Ziel ist das Grab des Schweizer Schriftstellers und Abenteurers Aime Felix Tschiffely. Von 1925 bis 1928 ritt er mit den beiden Criollos Mancha und Gato 18.000 Kilometer von Buenos Aires nach Washington und machte die robuste Pferderasse noch bekannter. Im kleinen Papierplan, den mir der genervte Posten am Eingang auf mein Nachfragen hin in die hand gedrückt hatte, fand ich seinen Namen nicht. Der Posten rollte die Augen und verwies mich auf eine Auskunft im Büro. Das sei aber heute schon geschlossen. Auch der kleine, dunkelhäutige Mann, der mit Besen und Eimer für Ordnung auf dem Friedhof sorgte, zuckte nur fragend mit den Schultern. Ich ließ mich von meiner Intuition durch die Grabreihen tragen. Nach zwei Stunden Suchen und Staunen über die kunstvollen Gruften in brodelnder Hitze gab ich auf, ohne den Wanderreiter gefunden zu haben.


Auf dem einstündigen Rückweg im vollbesetzten Bus durch das laute und farbenfrohe Buenos Aires zurück zu meiner Freundin Claudia ging mir durch den Kopf, was von mir bleibt, wenn ich diese Welt verlasse.

Was will ich mehr zurücklassen, als die Erinnerung an die Abenteuerlust und Entdeckerfreude einer Frau, die Komfortzonen verlässt, um unbekannte Erfahrungen zu machen? Vielleicht ist es die Inspiration, Bekanntes zu verlassen, um dem Wunsch der Seele nach Wachstum zu folgen.

Es braucht Mut, unsere wahre Zugehörigkeit zu erfahren, uns in die Wildnis zu wagen und Wildnis zu werden. Es braucht Mut, Mauern unseres Verstandes einzureißen, um aus unserem wilden Herzen heraus zu leben, anstatt aus dem konditionierten Verstand heraus, der alle Verletzungen gespeichert hat und reproduziert.


In der kommenden Nacht fährt mich ein Privattaxi, dass über eine App geordert wird, eine Stunde durch das schlafende Buenos Aires zum Flughafen Ezeiza. Dort war ich am Vortrag aus Deutschland angekommen und von dort fliege ich nochmal 1,5 Stunden in die Provinzhauptstadt Neuquen, setze mich dann 5 Stunden in den Bus, um bei meinen beiden Pferden Don Socke und Canela anzukommen.

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